Die Opfer kehren zurück

Die Opfer kehren zurück

FRAGEN AN . Helmut Försch, Würzburg - Stolperstein-Aktivist durch Sonntags-Merkur am 15. April 2007 veröffentlicht.

Sonntags-Merkur: Wie bezeichnen Sie Ihre Funktion bei der Aktion "Würzburger Stolpersteine"?

Helmut Försch: Als Mädchen für alles. Als Benita Stolz erfuhr, dass der Künstler Günter Demnig in Kitzingen Stolpersteine verlegen wird, sind wir hingefahren haben ihn kennen gelernt. So bin ich von Anfang an dabei und heute einer von zwei Ansprechpartnern - zum Beispiel für Leute, die Patenschaften für Opfer übernehmen möchten. Außerdem begleite ich Zeitzeugen aus der Tätergeneration und Opfervertreter in Schulen...

Merkur: Wie ist die Akzeptanz dort?
Försch: Am meisten kommt dabei raus, wenn man nicht in einer vollen Aula, sondern vor einzelnen Klassen spricht. Da trauen sich die Schüler, sich zu melden. Und wenn Nachfragen kommen, dann bleibt auch mehr hängen. Das soll nicht wie eine Geschichtsstunde ablaufen. Außerdem haben junge Leute an der Jugendbildungsstätte Unterfranken die Aktion jetzt sozusagen mundgerecht für Schulen aufgearbeitet und eine moderne Power-Point-Präsentation gemacht.

Merkur: Früher engagierten Sie sich dafür, schöne Lebensräume zu erhalten. Ihre heutige Tätigkeit ist weniger positiv geprägt.
Försch: Manchmal ist es bedrückend, wenn man diese Schicksale immer wieder vor Augen hat. Probleme macht es uns, dass die nichtjüdischen Opfer kaum dokumentiert sind. Statistisch müsste es in Würzburg mindestens fünf, sechs Menschen geben, die wegen "Wehrkraftzersetzung" in KZs verschleppt wurden, Deserteure, Fahnenflüchtige... Inzwischen sind wir einigen auf der Spur, aber es ist schwer. Manche Angehörige möchten nämlich gar keine öffentliche Aufarbeitung, weil die Opfer immer noch geächtet werden.

Merkur: Vermindert die Spannung Ihrer Recherchen den Schrecken etwas, der auf dem Thema lastet?
Försch: Es ist wie bei einem Medizinstudenten: Die ersten Schnitte, die er macht, tun ihm selbst noch weh, aber mit der Zeit kommt schon auch eine gewisse Routine. Nur, wenn ich dann ins Staatsarchiv gehe und dort Akten lese, bin ich doch wieder berührt. Im nächsten Jahr werden Stolpersteine in Grombühl verlegt, da habe ich selbst mitrecherchiert.

Merkur: Bisher war Grombühl ausgeklammert. Wollten Sie den Stadtteil Ihrer Kindheit aus der Aktion raushalten?
Försch: Nein, nein! Wir treffen uns in einer Gruppe von 20, 25 Leuten und beschließen gemeinsam, in welchen Stadtteilen wir arbeiten.

Merkur: Warum treten Sie selbst gar nicht als Biogramm-Autor in Erscheinung?
Försch: Das würde mich überfordern. Meine Arbeit ist schon so umfangreich, ich sitze täglich mehrere Stunden an Computer und Telefon. Ich berate andere Städte, zur Zeit Karlstadt, Aschaffenburg, Arnstein, Celle.

Merkur: Welchen Rat können Sie geben?
Försch: Die wollen wissen, wie wir das aufgebaut haben, wie man mit den politischen Gremien verfährt. Und wieviel Geld wir pro Stolperstein verlangen. Wobei wir in Würzburg nur das von den Paten haben möchten, was der Künstler bekommt. Alles andere zahlen wir aus der eigenen Tasche, arbeiten ehrenamtlich oder finden Sponsoren für die Ausgaben.

Merkur: Was motiviert Sie zu Ihrem Engagement?
Försch: Ich denke, dass die Gefahr, die von den Neonazis ausgeht, unterschätzt wird. Die Gefahr zu bannen, dass so was noch einmal geschehen kann, ist enorm wichtig, genau so wie die Mahnung und Aufklärung der jungen Generationen. Dazu kommt die Verpflichtung gegenüber den Überlebenden und Angehörigen der Opfer, die Erinnerung wach zu halten und im Alltag sichtbar zu machen, wie viele Menschen aus unserer Mitte gerissen wurden. Die schönsten Augenblicke bei dieser Arbeit sind Begegnungen mit wunderbaren Menschen, mit Angehörigen und Opfern, die mir - einem Mitglied der Tätergeneration - mit Achtung und viele auch mit Freundschaft begegnen. Das lässt  so manchen Stress und Ärger, so manchen Fehler vergessen.

Merkur: Was unterscheidet die politische Atmosphäre in Würzburg von anderen Städten, in denen Demnig arbeitet?
Försch: In Würzburg haben wir eine eindeutige Lage, weil die Oberbürgermeisterin voll hinter der Idee steht. Nur so kam es zu der breiten Zustimmung. Anderswo gibt es äußerst knappe Stadtratsbeschlüsse. An manchen Orten ist es wichtig zu betonen, dass auch für Zigeuner, Homosexuelle und politisch Verfolgte Stolpersteine gesetzt werden sollen. Sonst sagt man sich da: Für das Gedenken an die Judenverfolgung haben wir doch schon genug getan.

Merkur: Künstler mit Mission können menschlich schwierig sein. Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit Günter Demnig?
Försch: Künstler haben oft sehr differenzierte Stimmungen. Die Recherchegruppe ist manchmal nicht richtig mit ihm zurechtgekommen. Er hat eine feste Meinung, und die nimmt er nicht zurück. Wenn er sich dafür entschieden hat, einen Stein an einer bestimmten Stelle zu verlegen, ist er kaum noch bereit, sich beeinflussen zu lassen.

Merkur: Wo ist da der springende Punkt?
Försch: Für ihn gehört der Stein an den letzten Wohnort eines Opfers, auch wenn der weit draußen im Steinbachtal liegen würde. Dabei könnte der Stolperstein an der vorletzten Adresse – wenn die in der Domstraße war – viel sinnvoller sein. Da muss man Demnig erst lange überzeugen.

Merkur: Die Aktion Stolpersteine ist also strenge Konzeptkunst.
Försch: Natürlich. Und Günter Demnig sieht sie wohl als sein Lebenskunstwerk an.

Merkur: Empfinden Sie sich selbst als – mit Josef Beuys zu reden - Teil einer sozialen Plastik?
Försch: Nee, durchaus nicht. Ich sehe mich nur als Gehilfen beim Erstellen eines Kunstwerks, das für mich ganz wichtig ist. Bei Schulvorträgen sage ich am Schluss: Hitler und Konsorten hatten in ihrem Wortschatz eindeutige Wörter: ausradieren, vernichten, auslöschen. Ob Städte oder Menschen, das war denen vollkommen gleichgültig. Das hatten sie bisher erreicht. Aber die Stolpersteine bringen diese Menschen wieder ins Gedächtnis und an den Ort zurück, an dem sie gelebt haben. Das ist die schöne Seite dieser Aktion. Die Opfer sind wieder daheim.

Der 79-Jährige begleitet an diesem Wochenende die dritte Verlegung von Pflasterplaketten zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus.

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