Kinder und Waffen

Kinder und Waffen

Es scheint zu allen Zeiten für Buben zumindest ein besonderer Reiz darin zu liegen, mit Waffen umzugehen.  Ob diese Einschränkung auch heutzutage noch gültig ist bezweifle ich aller­dings seit sich die Damenwelt zu Uniform und Kriegsspiel drängt.  Wir waren da auch keine Ausnahme.  Das ging an mit Schnelzern, anfangs ganz harmlos mit Gummiringen zwischen den Fingern gespannt und mit gefaltetem Papier als Geschoss, dann kamen schon Astgabeln  mit Gummiringen von Weckgläsern plus Kieselsteinen und Krampen.  Sehr beliebt waren auch Blasrohre.  Da konnte man mit gekauten Papierkugeln oder Kitt ziemlich genau schießen und treffen.  Solche Sachen haben wir auch während des Unterrichts in der Schule gemacht.  Glaubte man sich unbeobachtet, flog alles mögliche hin und her und mit dem Blasrohr ziel­sicher.  Während der Lehrer an die Wandtafel schrieb, konnte man so ein feuchtes „Bätzchen“ nahebei platzieren.  Einmal schaffte ich es – natürlich wieder mal ohne es zu wollen – ihm, als er sich umwendete, auf die Brille zu treffen.  Meine „Tracht“ hatte ich wieder mal weg, meine Treffsicherheit und mein Mut wurde gerühmt.  So kommt man ungewollt zu Ansehen: „Der August hat sich widder emal was geleist.“

Stärkerer Tobak waren dann Pfeil und Bogen, anfangs mit Haselnuss-Stecken und Schnur, die Pfeile dünne Ruten.  Im fortgeschrittenen Stadium stellten wir die Bogen aus den Stahlstäben von Regenschirmen, drahtumwickelt und gespannt her und verwendeten als Pfeile einzelne Fahrradspeichen.  Es ist geradezu ein Wunder, dass uns beim hantieren mit diesen Dingen nie was passiert ist.  Blechbüchsen waren die Ziele, wenn wir unsere Treffsicherheit testeten.  Und die Ratten, die in den Unterführungen des Quellenbachs, in den Lagerhallen und Stallun­gen und in den Gerümpelhaufen der Produktenhändler hausten und einfach nicht auszurotten waren, die in die Höfe huschten und in Kellern über die Vorräte herfielen, waren Ziele, für die wir sogar belohnt und belobigt wurden.  Unsere Pfeile fanden da reiche Beute.

Je älter wir wurden, desto mehr entfernten sich unsere Aktivitäten von den Spielchen der Kind­heit.  Als die im Zuge des Luftschutzes durchgeführten Entrümpelungen, bei denen vor jedem Haus ganze Haufen von Dingen, die sich im Laufe der Zeit in den großen Speichern der Häuser an­gesammelt hatten und die nun unter Aufsicht der Luftschutzwarte geräumt wur­den, aufge­türmt waren, war unsere Stunde gekommen.  Wir krochen selbst durch alle Risse und Spalten, halfen den Fuhrleuten beim Aufladen und was uns gut und für unsere Zwecke brauchbar er­schien wanderte wieder in unsere eben erst entrümpelten Speicher.  Was wir al­ler­dings dort deponierten waren keine brennbaren Sachen.  Als mein Papa unseren Dachbo­den einmal in­spizierte, weil er wissen wollte, was ich so oft dort oben trieb, hat er eine schö­ne Waf­fen­sammlung bewundern können.  Er fand das aber gar nicht gut und ich sollte das al­les rüber zum Gotthilf schaffen.  Ich fand Abnehmer für einiges, manches versteckte ich bei meinen Büchern im Spitzboden.  Es ist alles verbrannt.  Heute wären Hellebarde, Säbel, Flo­rett, Pisto­len, Bajonett und Pickelhaube gesuchte Antiquitäten von großem Wert.  Für mich sind die ver­brannten Bücher ein noch viel größerer Verlust.  Da haben die Tommys das Werk der Na­zis konsequent fortgesetzt.  An viele der Bücher kann ich mich noch gut erinnern, weil ich sie gelesen habe. Da war die Räuberbande von Leonhard Frank, Berlin Alexanderplatz von Al­fred Döblin, die Hausapotheke von Erich Kästner, Wolf unter Wölfen von Fallada, Deutsch­land über alles von Kurt Tucholski, das Schloß von Franz Kafka, Jahresbände der Weltbühne, der Untertan von Heinrich Mann und von Thomas Mann der Zauberberg und die Budden­brooks, auch Bände von Remarque, Feuchtwanger, Brecht, Zweig, Kisch, Hasencle­ver Heine und Mühsam.  Für einen ganzen Berg von Bänden hatte ich noch keine Zeit oder Ver­ständ­­nis aufbringen können.  Bei aller schönen neuen Literatur, mein Herz hängt an diesen Büchern und den Menschen, die sie geschaffen haben, den großen verbrannten Dichtern vor allem der unvergesslichen 20er Jahre, der Zeit der Republik von Weimar.

Bei den Entrümpelungsaktionen hatten wir uns auch mit allerlei Waffen eingedeckt.  Wir waren ja keine Sammler, die sich das Zeug an die Wand hängen oder archivieren. Wir wollten das auch ausprobieren.  An Munition für Gewehre, Pistolen und Revolver kamen wir nicht ran, allenfalls an KK-Munition und die konnte man mit den kleinen Teschings verschießen.  Weil das Schießen auf Zielscheiben nur dann richtigen Spaß macht, wenn diese einer in der hand hält, haben wir das auf dem Spitzboden unseres Hauses ausprobiert.  Ein Hausbewohner hat uns dabei überrascht.  Er drückte die Falltür aber genau in dem Moment hoch, als der Itzich auf die von mir gehaltene 12er-Scheibe abzog.  Da wurde mein Handgelenk zum 12er und der Itzich traf ins Schwarze.  Im Lukra wurde der Fall schmerzhaft, aber ohne Folgen ge­löst.  Dem Arzt haben wir versprochen, das nie wieder zu tun.  Das war nicht weiter schwer, es gibt ja so viele andere Möglichkeiten....

In einem Film hatten wir die Helden – wir wurden unentwegt mit solchen gefüttert, sollten ja selber welche werden – bewundert, wie sie mit Säbel oder Florett fochten.  Da es uns an solchen Geräten auch nicht mangelte, haben wir das natürlich kopiert.  Erst mit Rohrstöcken, dann mit Sportfloretts, irgendwann auch mit echten Raritäten.  An meiner rechten Hand zeugt  heute noch eine schwach sichtbare Narbe von einem Gefecht, das nun schon bald siebzig Jahre her ist und nach dem Werner, der Sieger, mit mir den üblichen Weg ging und wir beide wieder trefflich belehrt von dannen gingen.

Werfen und „Schmeißen“ war immer angesagt.  Ob es nun darum ging, einen Ball oder Stein möglichst weit oder auf was bestimmtes zu werfen, oder zu treffen, das war echte Bubensache.  Da ging immer wieder mal was zu Bruch, eine Fensterscheibe, oder ein Blumentopf.  Dann gab’s Dresche, Strafarbeit oder Ausgangssperre.  Wenn es irgendwie zu deichseln war, haben wir uns der Strafverfolgung durch eilige Flucht entzogen und da ging es schon mal durch fremde Anwesen, Werkstätten oder auch über das Dach ins Nachbarhaus, durch Hinter­höfe in andere Straßen, denn eine Haftpflichtversicherung hatte niemand und wenn der Papa hätte zahlen müssen, wäre es ans Eingemachte gegangen.